Trauer und Verlust bewältigen ist ein Prozess, der bleibt.

11. März 2024, 20:29 Uhr | Mama schreibt:
„Oma ist leider verstorben.“

Mit dieser kurzen Nachricht begann alles. Die Trauer, die Leere, das Nichtbegreifen. Und bis heute, neun Monate später, bin ich noch mittendrin. Trauer ist ein Zustand, der bleibt. Sie ist kein Ziel, das man erreicht, kein Problem, das man löst. Trauer ist vielmehr alles, was geschieht, während man langsam versucht, das Unfassbare zu akzeptieren.

Am schwierigsten ist nicht die Organisation oder die Formalitäten – es ist das innere Verstehen dessen, was passiert ist. Der Tod bleibt unbegreiflich, eine Realität, die sich weigert, in den Alltag zu passen. Die Realisation kommt nicht auf einmal. Sie schleicht sich in Momenten ein, schlägt plötzlich zu und hinterlässt einen umso leereren Raum.

Ich erinnere mich genau an den Tag der Gebetsstunde. Stunden vor meiner Zugreise in die Heimat wurde ich unfassbar nervös. Es war, als ob mein Körper wusste, was mein Kopf noch verdrängte: Ab diesem Moment würde ich mich der Realität stellen müssen. Der Tod, der bis dahin nur eine Textnachricht war, würde greifbar werden. Ich wollte nicht. Ich wollte in meiner sicheren Bubble in Wien bleiben, weit weg von der Wahrheit. Aber irgendwann musste ich los.

Im Zug saß ich neben meinem Bruder. Er war mein Anker in diesem Sturm. Wir redeten über Banales, über alles und nichts. In seiner Gegenwart fühlte ich diese vertraute Sicherheit, die immer dann kommt, wenn die Welt ins Wanken gerät:

Es gibt einen Ort auf der Karte weiter im Norden, wo die Welt mich hält.

Die Reise war schwer, und doch war sie leicht – oder zumindest leichter, weil wir zusammen waren. Gemeinsam sangen wir, erzählten Geschichten von dir, lachten und weinten. Wir tauschten Erinnerungen aus, als ob wir dich damit noch ein bisschen bei uns behalten könnten. Jeder von uns trauerte auf seine eigene Weise, und alles war genau so, wie es sein musste.

Doch dann kam der Tag am Grab. Was am Vortag leichter schien, war plötzlich untragbar schwer. Vor uns der Sarg – diese Wucht, diese Unvereinbarkeit mit dem, was ich kannte. Wie konnte es sein, dass du dort drin lagst? Dass du überhaupt weg warst? Die Realität wollte nicht in meinen Kopf, und mein Körper wusste nicht, wohin mit dem Schmerz.

Als wir den Weg zum Grab gingen, spürte ich, wie meine Brüder unbewusst eine Mauer um mich zogen. Sie schützten mich vor der Wucht der Welt, vor dem Schmerz, der wie eine Lawine über uns hinwegrollte. In diesem Moment fühlte ich nicht nur Trauer, sondern auch eine tiefe Dankbarkeit.

Dankbarkeit für Menschen, die da sind, wenn die Welt ins Wanken gerät. Für Geschwister, die wie ein Netz unter dir sind, wenn du fällst. Für diese kleinen Inseln der Sicherheit, die dich auffangen, wenn die Schwere des Lebens dich erdrückt.

Und vielleicht ist das der größte Trost in der Trauer: die Gewissheit, dass wir nicht alleine durch diese Zeiten gehen müssen. Wir können uns auf andere stützen, wenn unsere eigenen Beine zu schwach sind. Und das ist okay.

Trauer bleibt ein Prozess. Sie kommt in Wellen, trifft uns mal sanft, mal mit voller Wucht. Aber sie zeigt uns auch, was wirklich zählt: die Menschen, die uns tragen.